Unser
Mitglied Azad Soranî hat bei der heutigen Demonstration und Kundgebung
zu den Angriffen der Türkei auf Rojava eine Rede gehalten, in der er
klar Stellung bezieht: Unsere Werte müssen über politischen und
ökonomischen Interessen stehen. Sonst sind diese Werte nichts wert.
Hier der vollständige Text der Rede:
»Manche sagen, dass die EU bzw. Deutschland als Teil der sogenannten
westlichen Wertegemeinschaft ihre eigenen Werte verrät, indem sie zu
Erdogans Angriffskrieg schweigt und diesen nur scheinheilig verurteilt,
ohne jegliche Konsequenzen daraus zu ziehen. So wird es
höchstwahrscheinlich passieren.
Aber diese Werte werden bereits
mit jeder Genehmigung weiterer Waffenlieferungen durch die
Bundesregierung nicht nur an die Türkei, sondern auch an die
Kopf-ab-Diktatur Saudi-Arabiens verraten.
Die eigenen Werte
werden verraten, an jedem Tag, an dem der unsägliche Flüchtlingsdeal mit
der Türkei weiterhin gilt. Sie werden immer dann verraten, wenn
Millionen und Milliarden Euro an den Diktator Erdogan fließen.
Der Verrat wiederholt sich jedes Mal, wenn unsere Bundesregierung die
Türkei als einen wichtigen Partner bezeichnet. Ich sage nein, Mörder
können niemals unsere Partner sein.
Islamisten dürfen niemals
unverzichtbar sein. Ein Diktator darf niemals ein Verbündeter sein. Ein
Barbar darf niemals unser Handelspartner sein, auch wenn unsere
Wirtschaft davon negativ beeinflusst werden sollte. Untergehen wird man
durch kurzfristig geringere Profite nicht.
Die eigenen WERTE müssen über politischen und ökonomischen Interessen stehen. Sonst sind diese Werte gar nichts wert.
Es ist leider eine traurige Wahrheit. Unsere Befürchtungen, dass der
Despot aus Ankara nun einen neuen Krieg gegen die Kurden beginnen will,
ist Wirklichkeit geworden.
Sie waren staatenlos, hatten keine
Bürgerrechte, sind in einem Land aufgewachsen, in dem sie Bürger 3.
Klasse waren. Dann kam der Krieg, der IS wurde immer größer, auch und
vor allem dank Erdogan, der ihn nachweißlich mit Waffen und Geld – aber
auch mit kostenloser medizinischer Behandlung in türkischen
Krankenhäusern versorgte.
Sie kämpften jahrelang und erbittert
gegen diese riesige und mörderische Armee. Obwohl zunächst kaum
internationale Unterstützung kam und die Türkei ganz offen den Nachschub
von Waffen, Medizin und logistischer Unterstützung für die YPG
blockierte, schafften sie in Kobanî, den Anfang vom Ende des sogenannten
Kalifats einzuleiten.
Sie waren es, die dort als Bodentruppe
den meisten Blutzoll zahlten. Sie waren es, die in Rojava, im Norden
Syriens eine basisdemokratische Verwaltungsstruktur aufbauen konnten.
Sie waren es, die die dortige Autonomie auf Basis des Grundgedankens
der Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen, zwischen den
verschiedenen religiösen Gruppen – den Christen, Alewiten, Yesiden und
Muslimen schufen.
Dies zeigt sich durch die Einführung der
Parität, wo Frauen auf jeder Führungsebene mindestens zu 50% vertreten
sein müssen. Die YPG war es, die es ermöglichte, dass die verschiedenen
ethnischen Gruppen dort friedlich miteinander leben konnten.
Die
ehrenhaften Kämpfer der YPG waren es, die bis in den Irak
vormarschierten, zu Fuß und mit einfachen Transportmitteln, um die
Yesiden im Shingal-Gebirge vor den mordenden IS-Terroristen zu
beschützen, die wiederrum, wie oben schon erwähnt, u.a. durch Erdogan
getrieben wurden.
Diese YPG soll nun einfach fallen gelassen
werden, weil Trump aus taktischen Gründen oder schierer Dummheit einfach
kein Interesse mehr daran hat, die Kurden zu unterstützen.
Nur
zur Erinnerung, die YPG hat den größten Anteil daran, dass der IS
überhaupt geschlagen werden konnte. Sie haben die Terrorbande, die die
ganze Welt bedrohte, zurückgeschlagen, auch wenn sie noch teilweise
Schläferzellen betreibt, die durch die Angriffe aus Ankara jetzt nach
und nach aus ihren Löchern kriechen, wie sich schon am Mittwoch leider
gezeigt hat.
Sie waren eine der wenigen Milizen, die, so wie wir
es nennen und uns damit schmücken wollen, unsere „westlichen“ Werte
verteidigt haben und die auf dieser Grundlage auch ein Autonomiegebiet
errichteten.
Wenn sie fallen, dann wird nicht nur der IS wieder
erstarken, sondern auch alle anderen islamistischen Mörderbanden, allen
voran jene, die heute noch von der Türkei unterstützt werden und auch
mit ihnen jetzt in Syrien einmarschieren.
Dies heißt für alle,
die sich diesen Terrorgruppen nicht beugen werden, nichts anderes als
Unterdrückung. Für all jene, die sich der rückständigen
Interpretationsweise des Korans nicht in der Weise anpassen, wie
Salafisten, Wahhabiten, Muslimbruder es sich vorstellen, bedeutet es
Tod, Massaker, Genozid und noch mehr Repression und Unfreiheit.
Wohlgemerkt, andere Religionen werden per se tabu sein. Und nur, um eine
gewisse Zeit eventuell weniger Flüchtlinge zu aufnehmen zu müssen, die
nach Europa kommen wollen, schauen die EU und Deutschland bei allen
diesen Dingen weg.
1915 warnten deutsche Diplomaten den
damaligen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg, dass das
osmanische Reich bzw. die türkische Führung, die Armenier komplett
vernichten wollte.
Seine Antwort war leider genau die Parallele
zu dem, was wir heute erleben, nur drückt sie sich nicht offen so aus.
In der Praxis ist das Ergebnis dasselbe. Seine Antwort auf die drohenden
Massaker, die mit dem ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts an den
Armeniern endete, war folgende:
„Unser einziges Ziel ist, die
Türken bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig
ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht. Bei länger andauerndem
Kriege werden wir die Türken noch sehr brauchen.“
Deshalb
appellieren wir an die deutsche Bundesregierung, nicht zu schweigen und
nicht nur Lippenbekenntnisse von sich zu geben, sondern Konsequenzen
folgen zu lassen.
So wie das Wegschauen beim Völkermord an den
Armeniern ein Schandfleck unserer Geschichte geworden ist, darf es
keinen erneuten Schandfleck geben, der sich in unseren Geschichtsbüchern
verewigen wird.
Hoch lebe die internationale Solidarität! Kein
Krieg gegen die Bevölkerung in Rojava! Hoch lebe der kurdische
Widerstand und der Widerstand aller anderen Volksgruppen gegen die
Allmachtsphantasien aus Ankara!«