von Peter Gloede
In den letzten PZ-Ausgaben sind diverse Leserbriefe zum Thema Euro und Griechenland erschienen, die ein Körnchen Wahrheit enthalten: nämlich dass die sogenannten „Hilfs“pakete herausgeschmissenes Geld sind, ansonsten aber auf einem Mythos beruhen, der leider nicht nur von der BILD-Zeitung, sondern auch von den anderen „Leit“medien und leider auch der PZ gepflegt wird: wir fleißigen Deutschen bezahlen den faulen Griechen ihre Hängematte. Dabei werden die Verlierer der neoliberalen Wirtschaftspolitik auf beiden Seiten, nämlich die deutschen Arbeitnehmer und die griechischen Arbeitnehmer schamlos gegeneinander ausgespielt. Man kennt das ja von den Debatten um die schmarotzenden Hartz-IV-Empfänger und jetzt aktuell natürlich um die Wirtschaftsflüchtlinge vom Balkan, die angeblich den Wohlstand der Mittelschicht gefährden. Das lenkt davon ab, dass die wirklichen Sozialschmarotzer in den Konzernzentralen sitzen. Die paar Hartz IV-Betrügereien sind doch Peanuts gegen die Tricks der Konzerne, mit denen diese jegliche Steuerzahlung umgehen, dabei aber alle Vorzüge eines funktionierenden Staates genießen. Und die wirkliche Gefährdung unseres Wohlstands geht nicht von Flüchtlingen aus, sondern von den Banken und deren Finanziers im Hintergrund, die weiterhin ihr Casino am Laufen halten, mit Spielgeld zocken und dann, wenn‘s schief läuft, von uns Steuerzahlern via Regierung herausgehauen werden. Für das Geld, das in die Bankenrettung floss und immer noch fließt, z.B. durch die sogenannten „Hilfs“pakete an Griechenland, hätten wir schon längst das bedingungslose Grundeinkommen in Deutschland einführen – und obendrein die vielen maroden öffentlichen Gebäude und Straßen sanieren können.
Ja, Deutschland ist „Exportweltmeister“. Aber was hat der Durchschnittsdeutsche davon? Dieser Weltmeisterschaft ist erkauft durch jahrelanges Lohn- und Gehaltsdumping, so dass im Endeffekt die Reallöhne gekürzt wurden, während sie z.B. in Frankreich, Spanien oder Großbritannien stiegen („Laut Eurostat sind die deutschen Löhne zwischen 1995 und 2006 um gerade einmal 9,5% gestiegen – dies ist weniger als die Inflation und entspricht einer Reallohnkürzung. Im Vergleichszeitraum stiegen die Löhne in Frankreich um 49%, in Spanien um 103% und in Großbritannien gar um 128%.“ – http://www.heise.de/tp/artikel/32/32266/1.html).
Ja, Griechenland hat sich seinen Eintritt in die EU mit Finanztricksereien erschlichen (bei denen ihnen Goldman Sachs gerne – natürlich gegen entsprechendes Honorar – geholfen hat). Aber auch die deutsche Regierung unter Schroeder wollte unbedingt die Griechen mit im Boot haben – neue Absatzmärkte und weitere billige Arbeitskräfte lockten. Da hat man dann nicht so genau hingeschaut.
Ja, Griechenlands Politik basierte auf einem korrupten System der Vetternwirtschaft. Solange das noch die Parteifreunde von CDU und SPD, also Nea Dimocratia und Pazok, waren, wurde das geduldet – nicht zuletzt wohl deswegen, weil deutsche Konzerne (Siemens, …) massiv an der Korruption beteiligt waren und die deutsche Rüstungsindustrie blendend verdiente. Und dass die Christdemokraten unter Kohl und Schäuble (ja, unter eben diesem unserem heutigen Dr. Seltsam) auch einigen Korruptionsdreck am Stecken hatten, vergisst man heute auch gerne wieder. Der griechische Normalbürger hatte von diesem korrupten System genauso wenig wie der deutsche Normalbürger von den schwarzen Konten der CDU.
Ja, griechische Reeder zahlen kaum Steuern. Das aber tun deutsche Reeder ebenso wenig aufgrund einer hier wie dort äußerst merkwürdigen Art der Besteuerung (sog. „Tonnagebesteuerung“ – http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-02/griechenland-missverstaendnisse-klischees-regierung-yanis-varoufakis).
Und während deutsche Politiker Griechenland auffordern, seine Reeder zu besteuern, setzt sich Schäuble in Deutschland für Ausnahmen bei der Besteuerung deutscher Reeder ein (http://www.wiwo.de/politik/deutschland/schaeuble-verspricht-reeder-koennen-auf-loesung-zur-versicherungssteuer-hoffen/11071840.html)
Mag sein, dass „die Griechen“ über ihre Verhältnisse gelebt haben. In ihrer Neujahrsansprache 2008 nach Beginn der Finanzkrise warf Frau Merkel ja auch „uns Deutschen“ vor, wir hätten über unsere Verhältnisse gelebt, ja, die ganze Welt habe über ihre Verhältnisse gelebt. Haben „wir“ also die Finanzkrise ausgelöst? Das ist eine ungeheure Verdrehung der Tatsachen und soll wohl begründen, warum „wir“ jetzt den Banken das Geld in den Rachen schieben müssen. Und im Falle Griechenlands soll es begründen, warum die Griechen jetzt für die Zockerverluste der (deutschen und französischen) Banken, die diese durch ihre Spekulation mit griechischen Anleihen verloren haben, geradestehen sollen.
Nein, „die Griechen“ sind nicht faul. „Die Hellenen führen das Ranking mit den am meisten geleisteten Arbeitsstunden an, gefolgt von Ungarn und Polen. Deutschland schafft es nur auf den vorletzten Platz der Länderauswahl. Den Daten der OECD zufolge kommt jeder Deutsche im Schnitt auf knapp 1.400 Stunden im Jahr – die Griechen bringen es auf mehr als 2.000. – http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-02/griechenland-missverstaendnisse-klischees-regierung-yanis-varoufakis
Hören wir – Deutsche und Griechen – auf, uns weiterhin gegeneinander aufhetzen zu lassen. Packen wir das Problem bei der Wurzel: liebe Griechen, macht es wie Argentinien und Island und zahlt einfach die faulen Kredite (Kredite zugunsten der Militärdiktatur, später der korrupten Politikereliten, und zum Aufbau eines völlig überdimensionierten Militärapparates) nicht mehr zurück. Überlasst den Banken ihre Spekulationsverluste. Und: liebe Deutsche, wählt endlich eine Regierung, die den Reichtum dort abschöpft, wo er nur Unheil anrichtet: eine Regierung, die eine Transaktionssteuer einführt und Geschäfts- und Investmentbanken voneinander trennt. Eine Regierung, die eine Vermögenssteuer wieder einführt [auch das ist ja so ein Ablenkungsmanöver, dass man behauptet, damit sei die Erbschaft von Omas Häuschen gefährdet]. Wählt eine Regierung, die Investmentbanken, die sich verspekuliert haben, zugrunde gehen lässt – KEINE Investmentbank ist „too big to fail“, wenn man sie vom Geschäftsbankbereich abtrennt – selbst die Deutsche Bank ist nur mit 4 % in der Realwirtschaft beteiligt, der Rest sind Finanzderivate, die in die Insolvenz überführt werden können, ohne dass die Realwirtschaft in irgendeiner Weise gefährdet wäre – s. Wer rettet wen, S.83).